Coco Schumann Quartett - Konzert, Lesung und Gespräch zum Buch "Der Ghettoswinger"
Sankt Jakobuskirche Ilmenau
Eine Gemeinschaftsveranstaltung von Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Landesarbeitsgemeinschaft Jazz in Thüringen, AG Jazzmeile und Jazzclub Ilmenau im Thüringer “Jahr der Demokratie” und im Begleitprogramm zur Ausstellung “Das verdächtige Saxofon”.
Geboren und aufgewachsen in Berlin als Sohn einer jüdischen Mutter und eines christlichen Vaters, kam Schumann in den 1930er-Jahren in Kontakt mit den neu aufkommenden Musikrichtungen Jazz und Swing. Schumann, der Gitarre und Schlagzeug erlernte, spielte bereits als Jugendlicher in verschiedenen Swingbands. Der Spitz- und Künstlername “Coco” entsteht zu dieser Zeit, da eine französische Freundin den Namen “Jakob” nicht aussprechen konnte und ihn zu “Coco” verkürzte.
Obwohl nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten amerikanische Musik wie Jazz und Swing als “undeutsch” galt, spielte Schumann, der als „halbjüdischer“ Swingmusiker der Bedrohung doppelt ausgeliefert war, noch bis 1943 unbehelligt Konzerte in Berliner Clubs. Im März 1943 wurde Schumann verhaftet und ins Ghetto nach Theresienstadt verbracht.
In Theresienstadt gelang Schumann der Anschluss an verschiedene Musiker, denen es ausdrücklich erlaubt war, Jazz und Swing zu spielen. Die Nationalsozialisten hatten Theresienstadt als Vorzeigeghetto geplant um der Welt zu zeigen, wie gut sie vorgeblich die jüdische Bevölkerung behandelten. Zu dieser Illusion gehörten insbesondere verschiedene Musikveranstaltungen mit verbotener Musik im Ghetto. In dem von den Nationalsozialisten zu Propagandazwecken produzierten Dokumentarfilm Theresienstadt ? Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet ist Schumann in einer kurzen Szene als Schlagzeuger einer Jazzband zu sehen. Zum Kriegsende wurde Schumann zunächst im September 1944 nach Auschwitz-Birkenau, im Januar 1945 nach Kaufering, einem Nebenlager vom KZ Dachau, gebracht. Von Kaufering aus wurde Schumann im April 1945 mit anderen Häftlingen auf einen Todesmarsch in Richtung Innsbruck geschickt, auf dem die Häftlinge von amerikanischen Soldaten befreit wurden.
Nach dem Krieg kehrte Schumann nach Berlin zurück, wo er mit seiner zur E-Gitarre modifizierten Jazzgitarre schnell an alte Erfolge anknüpfen konnte. Zusammen mit Helmut Zacharias spielte Schumann eine Vielzahl von Konzerten, Radioübertragungen und Schallplattenaufnahmen.
Im Jahr 1950 wanderte Schumann mit seiner Frau nach Australien aus. Die Familie konnte dort jedoch nie Fuß fassen und kehrte 1954 nach Deutschland zurück.
In Deutschland setzte Schumann sein musikalisches Schaffen fort und spielte erneut in verschiedenen Tanz-, Radio- und Fernsehbands. Unter eigenen Namen spielte Schumann Jazz und Tanzmusik, unter dem Pseudonym “Sam Petraco” komponierte er lateinamerikanisch inspirierte Unterhaltungsmusik. In dem Film “Witwer mit fünf Töchtern” mit Heinz Erhardt ist Schumann als Gitarrist einer Rock ‘n’ Roll-Band zu sehen.
In den 1970ern begann Schumann, in Galabands auf Kreuzfahrtschiffen und bei Tanzveranstaltungen zu spielen. Er zog sich jedoch in den 1980er Jahren langsam zurück, nachdem sich die seichte Unterhaltungsmusik immer weiter von Schumanns bevorzugtem Swing entfernt hatte.
In den 1990ern besann Schumann sich auf seine Wurzeln des Jazz und Swing und gründete das “Coco Schumann Quartett”, mit dem er bis heute musikalisch aktiv ist.
In den ersten Nachkriegsjahren war Schumann der erste deutsche Musiker, der eine E-Gitarre einsetzte. Mit Hilfe des Gitarrenbauers Roger Rossmeisl modifizierte Schumann seine akustische Jazzgitarre, in dem er aus dem reichlich vorhandenem Elektronikschrott des Militärs einen Tonabnehmer und einen einfachen Verstärker bastelte. Da er so in der Lage war, Jazz und Swing mit dem “amerikanischen” Klang einer E-Gitarre zu spielen, wurde er schnell zu einem gefragten Studio- und Livegitarristen.
In Jahr 1997 erschien die Autobiografie Der Ghetto-Swinger, die Schumann zusammen mit den Autoren Max Christian Graeff und Michaela Haas verfasste. Einen Großteil der Biographie nimmt Schumanns Leben in der NS-Zeit, insbesondere die Verschleppung nach Theresienstadt bzw. Auschwitz ein. Zu diesem Thema ist Schumann auch in verschiedenen Fernsehdokumentationen zu sehen, die über Schumanns Leben sowie die KZ der Nationalsozialisten berichten. Schumann selbst zögerte lange, über seine Erlebnisse während der NS-Zeit zu sprechen. Zum einen stellen sie für ihn nach wie vor aufwühlende Erlebnisse dar, zum anderen wollte er immer als Künstler und Musiker, nicht jedoch als KZ-ler wahrgenommen werden. Erst das Gespräch mit einem WDR-Reporter bei einem Treffen von Überlebenden des Arbeitslagers Wulkow, zu denen Schumanns Frau gehört, änderte seine Meinung. Seitdem betreibt Schumann aktiv Aufklärung zu dem Thema. Trotzdem betont Schumann immer wieder: “Ich bin ein Musiker, der im KZ gesessen hat. Kein KZ-ler, der Musik macht”.