Eröffnung der Ausstellung "Das verdächtige Saxophon" - "Entartete Musik" im NS-Staat


Eishalle Ilmenau, Raum Lindenberg

Eishalle Ilmenau, Raum Lindenberg

In einer Kooperation zwischen Kulkturelle Koordinierung, Jazzclub, Stadt lmenau und Technischer Universität wird eine kommentierte Rekonstruktion der Ausstellung “Entartete Musik” 1938 in Düsseldorf gezeigt.
http://www.das-verdaechtige-saxophon.de
?Das verdächtige Saxophon? zeigt die kommentierte Rekonstruktion der Düsseldorfer Ausstellung ‘Entartete Musik’ von 1938 als eine wissenschaftliche Aufarbeitung kultureller Barbarei im Nationalsozialismus. Sie wirft mittels historischer Dokumente einen kritischen Blick auf die kulturellen Vernichtungsfeldzüge der Nazis im Bereich der Musik.
Der Begriff ‘Entartete Musik’ bezeichnete analog zur ‘Entarteten Kunst’ während der Zeit des Nationalsozialismus vor allem die musikalische Moderne, die der Ideologie der Nationalsozialisten widersprach. Der Nationalsozialismus in Deutschland sah sich nicht nur als politische, sondern auch als kulturelle Bewegung, die ganz bewusst mit dem Pluralismus der Weimarer Republik brach.
Komponisten der Moderne wurden als so genannte Vertreter der Entarteten Musik verfolgt, darunter ?nicht-arische? Künstler wie Arnold Schönberg, Kurt Weill, Hanns Eisler, Franz Schreker, Erwin Schulhoff und Ernst Toch, aber auch „arische“ Komponisten wie Ernst Krenek, Paul Hindemith und Igor Strawinsky.
Die Ausstellung ist eine ausgezeichnete Informationsquelle und ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung nationalsozialistischer Kulturbarbarei in Deutschland. Sie trägt dazu bei, dass deren ideologische Wurzeln im heutigen sozialen und politischen Kontext nicht wieder leicht in jungen Köpfen Fuß fassen. Die auf Fakten basierende wissenschaftliche Aufbereitung bezieht Stellung und antwortet so auf rechte Populisten und Demagogen. Die Ausstellung (plus Katalog und CD) gehört ins geistige Gepäck eines jeden demokratisch Gesinnten, dem es ein Bedürfnis ist, dass “Entartung” eine Vokabel einer überwundenen Vergangenheit bleibt.
Schon vor 1933 versuchten die Nationalsozialisten und ihre Verbündeten in Thüringen eine Gleichschaltung des Musiklebens. Die Ausstellung ist dadurch gerade auch hier in der Region eine wichtige Erinnerung an eine heute nur schwer vorstellbare Zeit, die in ganz Deutschland hunderte von Künstlern, darunter Musiker und Komponisten, zum Schweigen verurteilte, ins Exil, die Verbannung oder in den Tod führte.
Janusköpfigkeit
Eine latente Janusköpfigkeit deutscher Kulturorte ist in Weimar sichtbarer als anderswo. Die Stadt Goethes und Schillers ist auch die des KZ Buchenwald und des damaligen Intendanten des Weimarer Nationaltheaters und Initiators der Ausstellung ?Entartete Musik?, Dr. Hans Severus Ziegler.
In Düsseldorf, der Stadt Heines, Mendelssohns und Schumanns, fanden 1938 die Reichsmusiktage mit der Ausstellung ?Entartete Musik? statt. Nazi-Propaganda gegen „entartete“ Kunst, meist gesteuert vom ?Kampfbund für deutsche Kultur?, gab es schon vor 1933. Höhepunkte dieser Aktionen gegen nichtarische Schriftsteller, Künstler und Musiker waren die öffentlichen Bücherverbrennungen 1933, die Ausstellung ?Entartete Kunst? (München 1937) und die Düsseldorfer Ausstellung 1938 ?Entartete Musik? im Kunstpalast während der Reichsmusiktage.
1988, 50 Jahre später, wurde die kommentierte Ausstellung ?Entartete Musik? basierend auf einer Rekonstruktion zum ersten Mal gezeigt, damals von Albrecht Dümling und Peter Girth, ehemals Intendant der Berliner Philharmoniker und später Intendant der Düsseldorfer Symphoniker, inauguriert bzw. zusammengestellt. Die Ausstellung reiste durch Deutschland, Europa und die USA. Sie wurde in der Alten Oper Frankfurt, in der Wiener Staatsoper, im Concertgebouw Amsterdam, im Music Center Los Angeles und in der Royal Festival Hall London gezeigt, um nur die wichtigsten Stationen zu nennen.
Den Davidstern im Knopfloch
Ideologische Grundlage der nationalsozialistischen Ausgrenzung und Verunglimpfung „undeutscher“ Musik wie des Jazz und der atonalen Musik war das Rassenprinzip. Dies wurde bei der Düsseldorfer Ausstellung von 1938 schon im Plakat deutlich. Das Plakat bediente sich einer in den 20er Jahren sehr populären Figur, einem schwarzen Saxophonspieler, der nun aber mit dem Davidstern anstatt einer Nelke im Knopfloch daherkam. Diese Karikatur bezog sich auf die Oper ?Jonny spielt auf? von Ernst Krenek, die durch den Herzensbrecher Jonny aus Friedrich Hollaenders Chanson ?Jonny wenn Du Geburtstag hast? angeregt war:
?In der kleinen Pony-Bar
ist der Neger Jonny Star.
Der hat wildes Blut in seiner braunen Haut-oh!
Wenn er auf der Geige spielt,
wenn er mit dem Bogen zielt,
hat er jede Nacht `ne neue Braut.
oh!?

Wie in diesem Chanson ist Jonny in der Krenek-Oper eigentlich Jazz-Geiger. Krenek lässt ihn in der Jazzband aber auch zusätzlich Saxophon spielen, und die Wiener Universal-Edition druckte auf ihren Notenausgaben und Titelblättern den Jazzmusiker Jonny immer mit Saxophon ab. Die Aufführung dieser erotischen Jazzoper in der Wiener Staatsoper rief einen Skandal hervor. ?Jonny spielt auf und Jazz ist Trumpf. Die Kunst versinkt im Judensumpf! ? wurde auf Flugblättern gehetzt. Das Saxophon galt als Sinnbild negroid-jüdischer, jedenfalls undeutscher Musik. So forderte der nationalsozialistische ?Deutsche Frauenkampfbund gegen Entartung? schon 1929 ein ?Verbot von Saxophonen und Negertänzen?. Den Nationalsozialisten war das Saxophon also per se verdächtig.
Sorgfältig dokumentiert
Die sorgfältig zusammengestellte Sammlung von originalen Fotos, Texten, Faksimile-Drucken und Kommentaren dokumentiert die Verfolgung vor allem ?nicht-arischer? Musiker und ihrer Werke während der NS-Zeit, liefert Informationen über die Düsseldorfer Ausstellung von 1938 und ihren Macher Hans Severus Ziegler. Es findet sich umfangreiches Material zur NS-Kulturpolitik und zum Widerstand. Die Akte des Komponisten Paul Hindemith, der ja temporär in die Türkei und später endgültig in die USA emigrierte, ist als Faksimile einsehbar. Sie zeigt, dass ein unpolitisches Leben als Künstler mit reinem Gewissen in solchen Zeiten eine Illusion ist. Béla Bartók, der nicht zu den „entarteten“ Komponisten gezählt wurde und der gegen die Rassenpolitik protestierte, indem er seine Werke aus dem Katalog der „arisierten“ Wiener Universal Edition strich, ist mit seinem Text ?Rassenreinheit in der Musik? (1942 aus dem USA-Exil) vertreten. Über das erstaunliche Musikleben im Ghetto Theresienstadt berichtet Albrecht Dümling ebenfalls. Die NS-Diktatur hatte erkannt, dass das jüdische Kulturleben in diesem Lager international werbewirksam dargestellt werden konnte. Erhellend auch sein Essay über ?das Beispiel Bruckner, Klassiker-Missbrauch als eigentliche Entartung?.
Man sieht Fotos von Hitler bei der Aufstellung der Bruckner-Büste in der Walhalla bei Regensburg, Fotos von Richard Strauss im Gespräch mit Goebbels, liest seine Rede als Präsident der Reichsmusikkammer. Man erfährt, wie stark Hitler vor allem natürlich Wagner und Bruckner geschätzt hat, und dass er privat aber durchaus auch den “nichtarischen” Pianisten Artur Schnabel und die Operette ?Das Schwarzwaldmädel? des jüdischen Komponisten Leon Jessel hörte, der nach Gestapo-Haft 1941 starb.
Im Katalog wird auf der ersten Seite Hamlet zitiert: ?Und lasst der Welt, die noch nicht weiß, mich sagen, wie alles dies geschah; so sollt ihr hören von Taten, fleischlich blutig unnatürlich, zufälligen Gerichten, blindem Mord; von Toden, durch Gewalt und List bewirkt, und Planen, die verfehlt zurückgefallen auf der Erfinder Haupt: dies alles kann ich mit Wahrheit melden.?
Das jedenfalls ist das Anliegen des Berliner Musikwissenschaftlers Dr. Albrecht Dümling, der nach 20 Jahren die Ausstellung von 1988 und den umfangreichen Katalog unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse auch zu Jazz und Operette in jenen Zeiten gründlich überarbeitet hat.
Eröffnet wird die Ausstellung am Donnerstag, 1. Oktober 2009, 16 Uhr, im Raum Lindenberg der Ilmenauer Eishalle. Zur Einführung sprechen Ausstellungsmacher Dr. Albrecht Dümling sowie der Rektor der Techni-schen Universität Ilmenau. Dazu gestaltet der Ilmenauer Musiker Thomas Hahnemann ein Solokonzert auf dem Saxophon.
Organisiert wurde die Ausstellung für Ilmenau von den Vereinen Kulturelle Koordinierung e.V. und Jazzclub Ilmenau e. V., die dies in Zusammenarbeit mit der Universität Ilmenau, der Stadt Ilmenau, dem Studentenrat der Universität sowie der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen und den Landesverbänden für Soziokultur und Jazz auf die Beine gestellt haben.
Unterstützt wird das Projekt durch regionale und überregionale Sponsoren, die auch das nachfolgende Begleitprogramm mit drei Konzerten und zwei Vorträgen ermöglicht haben. Der Eintritt zu der gesamten Ausstellung und den Vorträgen (1.10.) sowie der Lesung (16.10.) ist frei.
Ausführliche Information unter http://www.das-verdaechtige-saxophon.de.